Predigt zum 4. Adventsonntag

Liebe Gläubige,
Wir haben so eben die Verkündigungsszene gehört. Vielleicht sind ihnen Erinnerungen an romantische Bilder mit Maria und dem Engel durch den Kopf geschossen: Auf der einen Seite das junge Mädchen Maria, ein wenig hilflos und naiv gezeichnet, meist die Hände faltend, auf der anderen Seite der Engel Gabriel, dargestellt als junger Mann mit gewaltigen Flügeln auf dem Rücken. Der gewaltige Engelsfürst steht dem zarten Mädchen gegenüber, ja scheint sie geradezu zu überrumpeln. So scheinen sich viele Menschen diese Situation vorgestellt zu haben. Aber ist es auch so gewesen?
Betrachten wir zunächst die beteiligten Personen. Hauptperson ist Maria, ein Mädchen von vielleicht 14 Jahren. Sie lebt bei ihren Eltern, die Tradition nennt sie Joachim und Anna. Sie wurde streng religiös erzogen, sie konnte daher wahrscheinlich lesen und schreiben, um die heiligen Schriften lesen zu können. Ihre Muttersprache war aramäisch, sie konnte
wahrscheinlich auch einige Worte Griechisch, denn Galiläa ihre Heimatprovinz war zweisprachig. Sie hatte einen festen Freund aus demselben Dorf, Nazareth: es war der Zimmermann Josef. Somit sind wir bei der zweiten wichtigen Person. Wir dürfen uns den Josef  keineswegs als alten Mann vorstellen. Er wird zwischen 21 und 25 Jahre alt gewesen sein. Die Familie des Josef stammte aus einer ganz anderen Gegend. Sie stammte aus Bethlehem im Lande Juda, das ist im Süden von Israel. Bethlehem war auch die Heimatstadt des Königs Davids. So war es möglich, dass Josef mit der ehemaligen Königsfamilie im weitesten Sinne verwandt war. Josef selber wird wohl in Nazareth eine eigene kleine Firma gehabt haben. Das Evangelium sagt, Josef und Maria waren verlobt! Dabei ist zu beachten, dass es in Israel eine Verlobung in unserem Sinne überhaupt nicht gab. Verliebten sich zwei junge Leute ineinander, trat die Großfamilie der beiden auf den Plan. Denn die Ehe war eher einem Vertrag zwischen zwei Familien zu vergleichen, der von den Familienoberhäuptern ausgehandelt wurde. Die Forschung nimmt nun an, dass der Ehevertrag, der Josef und Maria betraf, schon unter Dach und Fach war. Der Termin der offiziellen Ehefeierlichkeiten der beiden war wahrscheinlich auch schon fix. In dieser Situation platzte die dritte wichtige Person hinein, der Engel. Engel sind Boten Gottes! Die Kirche sagt, es sind Lichtgestalten, die Gott am Anfang der Welt, neben den Menschen erschaffen hat. Menschen können also keine Engel werden! Engel sind die personifizierte Kraft und Wirksamkeit Gottes. Sie sind eher mit Licht und Energie zu vergleichen, als mit Menschen. Jedenfalls erzeugt ihr Erscheinen bei den Menschen Furcht und Schrecken. So musste Maria vom Engel auch zuerst beruhigt werden. Jetzt, nachdem wir die handelnden Personen charakterisiert haben, wollen wir die Botschaft des Engels näher betrachten: Maria wird die Anwesenheit des Engels plötzlich bemerkt haben. Sie hat sicher mehr gespürt als gesehen. Sie bekam es mit der Angst zu tun. Sie hörte dann eine beruhigende Stimme: Fürchte dich nicht, du hast bei Gott Gnade gefunden, das heißt: Gott hat dich ganz besonders lieb, er will dir ganz besonders nahe sein! Er will dir ein Kind schenken, das Sohn des Höchsten genannt wird. Sohn des Höchsten ist eine feste Redewendung für den von Gott gesandten Retter, den Messias, der nach der Tradition der Juden ein neuer mächtiger König sein wird, der alle Feinde vernichtet und das Volk der Juden wieder groß macht. Der Engel schenkt also Maria reinen Wein ein. Maria weiß, was Gott mit ihr vor hat! Sie meldet deshalb auch Bedenken an: Ich habe doch noch mit keinem Mann geschlafen, entgegnet sie dem Engel, wie soll ich da dieses Königskind bekommen können. Der Engel erklärt ihr die weitere Vorgehensweise: Das Kind wird in Maria durch ein Wunder entstehen, aus der freien Schöpferkraft Gottes, vergleichbar dem, wie Gott bei ihrer unfruchtbaren Verwandten Elisabeth ein Wunder gewirkt hat. Jetzt ist alles klar! Es kommt nur noch auf Maria an! Stimmt sie dem Plan Gottes zu? Das Evangelium endet mit der Zustimmung Marias. Sie stellt ihre eigenen Vorstellungen und Pläne mit Josef zurück, und lässt sich ganz auf Gott ein. Ihr ist der Wille Gottes wichtiger als alles andere. In demselben Moment fängt das Jesuskind in ihrem Leib zu wachsen an. Gott hat Maria also nicht überrumpelt, sondern sie über seine Pläne genau aufgeklärt und alles weitere ihrem Willen unterstellt. Gott wirkt immer durch und zusammen mit den Menschen, das sollten auch wir im Alltag im Umgang miteinander beachten.